Der brasilianische Autor Louis Fernando Verissimo hat in einer seiner Kurzgeschichten das Phänomen der "Gated Communities", der eingezäunten Wohnenklaven, sehr treffend beleuchtet.
Seine Glosse bringt auf den Punkt, dass die Qualität des Lebens auch für die Wohlhabenden verloren geht, wenn sie alle Energie darauf setzen, in einer Welt extremer Ungleichheit abgeschottete Enklaven zu bewahren - und schließlich nur noch der Gedanke "Sicherheit" alles dominiert.
Sicherheit (Segurança)
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von Louis Fernando Verissimo
Übersetzung aus dem brasilianischen Portugiesisch: privat.
Genehmigung des Autors ist angefragt.
Originaltext im Internet z.B. auf
http://charlezine.com.br/seguranca-luis-fernando-verissimo/
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Das entscheidende Verkaufsargument der Wohnanlage war ihre Sicherheit. Die Häuser waren schön, wie auch die Gärten, die Grünflächen, die Swimming Pools; aber vor allem bot die Anlage Sicherheit. Sie war umgeben von einer hohen Mauer. Es gab eine Einlasspforte mit Wachen, die jede Bewegung mit Videokameras kontrollierten. In die Anlage wurden nur die Einwohner selbst hineingelassen, und Besucher mit einer Besuchermarke, die nach gründlichster Identitätsprüfung ausgehändigt worden war.
Aber die Überfälle blieben trotzdem nicht aus. Einbrecher kletterten über die Mauer und überfielen die Häuser.
Die Bewohner beschlossen, Wachtürme entlang der Mauer zu errichten, an allen vier Ecken. Die Kontrollen an der Eingangspforte wurden verschärft. Jetzt wurden nicht nur die Besucher mit Marken ausgestattet. Sondern auch die Eigentümer und ihre Familien. Niemand kam durch die Pforte ohne von den Wachen identifziert zu werden. Weder Opas, Omas noch Babys.
Aber die Überfälle gingen weiter.
Man beschloss, die Mauern durch elektrische Zäune abzusichern. Es gab Proteste, aber schließlich stimmten alle zu. Das wichtigste war ja die Sicherheit. Jeder, der die Hochspannungsleitungen oberhalb der Mauer berührte, würde sofort getötet, oder zumindest von einem Batallion Wächter entdeckt werden, die angewiesen waren, ohne Zögern von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.
Aber die Überfälle gingen weiter.
Gitter vor die Fenster in allen Häusern. Das war die Lösung. Auch wenn die Einbrecher die hohen Mauern überwanden, und die Hochspannungszäune, und die Hunde, und den zweiten Schutzring aus Stacheldraht, der innerhalb der Anlage errichtet worden war, würden sie nicht in die Häuser gelangen. Alle Fenster wurden vergittert.
Aber die Überfälle gingen weiter.
Es erging ein Appell an die Bewohner, möglichst wenig auszugehen. Zwei Verbrecher waren in die Wohnanlage eingedrungen, indem sie sich auf der Rückbank des Autos eines Bewohners versteckt hatten, und ihn mit gezogenem Revolver gezwungen hatten, sie in die Anlage einzuschleusen. Sie überfielen das Haus, und flohen dann in dem gestohlenen Auto mit gestohlenen Besuchermarken. Zusätzlich zu den Eingangskontrollen, ging man jetzt dazu über, auch die Ausgänge rigoros zu überwachen. Auslass nur nach einer gründlichen Prüfung der Identifikationsmarken, und mit der Autorisierung durch die Wachen, die sich weder auf gute Worte noch auf Bestechungsversuche einließen.
Aber die Überfälle gingen weiter.
Die Wache wurde verstärkt.
Ein dritter Schutzring wurde eingerichtet. Die wohlhabendsten Familen mit dem wertvollsten Eigentum zogen um in eine sogenannte Hochsicherheitszone.
Schließlich griff man zu einer extremen Maßnahme. Niemand darf die Wohnanlage betreten. NIemand. Besuche nur in einem von der Wache zugewiesenen Raum, unter strengster Aufsicht und nur für kurze Zeit.
Und niemand darf raus.
Jetzt ist die Sicherheit vollständig. Es hat keine Überfälle mehr gegeben. Niemand braucht sich mehr um sein Eigentum zu sorgen. Die Einbrecher, die an der Straße vorbeigehen, können nur einen kurzen Blick durch die große eiserne Eingangspforte werfen, und vielleicht den einen oder anderen Bewohner entdecken, der sich an den Gittern seines Hauses festklammert und dabei wehmütig zur Straße hinausschaut.
Aber jetzt ist ein anderes Problem entstanden.
Die Fluchtversuche. Immer wieder gibt es Bewohner der Anlage, die in irgend einer Weise versuchen, in die Freiheit zu gelangen.
Die Wache ist angewiesen worden, resolut vorzugehen.
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Besinnliche Feiertage,
Frohe Weihnachten!
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Reiche sterben vor Angst, Arme vor Hunger
SPIEGEL-Redakteur Walter Tauber über Kriminalität und Klassenjustiz in Brasiliens Traumstadt Rio de Janeiro
29.0.2008
... Die Oberschicht klagt lauthals über das "schmutzige Volk", das ihre einst schmucken Viertel unsicher mache. Die Inhaberin einer Boutique in Ipanema protestierte gegen eine Bushaltestelle, an der "diese Menschen aus der Nordzone direkt vor dem Geschäft" abgeladen würden.
Wer es sich leisten kann, zieht in eine geschlossene Villensiedlung oder in ein modernes Apartmenthochhaus, hinter hohe Mauern, mit bewaffneten Wachen und bissigen Hunden. "Das Kalkutta-Syndrom ist einfach", sagt Ribeiro, "Reiche sterben vor Angst, eingeschlossen in ihren selbst errichteten KZs. Arme sterben vor Hunger."
Gewalt lauert überall. "Die Armen wachen jeden Tag auf, ohne zu wissen, woher sie die Nahrung für ihre Kinder bekommen können", sagt ein Justizbeamter, "da bricht oft spontan Aggression aus." Wie auf Knopfdruck wird aus ruhigen, von der Arbeit erschöpften Menschen blitzartig ein wütender Pöbel, der den Bahnhof in Brand steckt, weil sich der Zug verspätet.
Vergebens sucht Justizminister Paulo Brossard nach linken Hintermännern, wenn sich banale Protestdemonstrationen plötzlich zu Gewaltexplosionen steigern. Dutzende Busse gehen dann in der Avenida Rio Branco in Flammen auf.
Es sind Fieberanfälle einer kranken Gesellschaft. Aber das Leiden ist kompliziert, die einfache Diagnose "Armut erzeugt Gewalt" reicht als Erklärung nicht aus.
Denn die Ausbrüche fallen ja gerade auf, weil sie Ausnahme sind - nicht jeden Tag stehen Soldaten mit Helm und Gewehr am Bahnhof. Gerade die schier grenzenlose Leidensfähigkeit der Menschen erstaunt an diesem brasilianischen Kalkutta-Syndrom. Noch hungern weitaus die meisten, ohne zu stehlen oder zu rauben. ...
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13531459.html
Rios Rhythmus mit Samba, Sand und Sonne
Vom friedvollen Santa Teresa bis zur lebhaften Copacabana - Zwischen Weihnachten und Karneval ist Hochsaison in der brasilianischen Metropole DIE WELT 07.01.05
Von Eberhard v. Elterlein
... Wohnungsfenster der Besserverdienenden an der Lagune sind vergittert. "Die Armen sterben vor Hunger, die Reichen vor Angst", schrieb einmal ein Journalist. Auch das ist natürlich Rio. ...
http://www.welt.de/print-welt/article362374/Rios-Rhythmus-mit-Samba-Sand-und-Sonne.html
Eingangsbereich einer "Gated Community", Mexico Bild: Wikipedia https://upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/a/a0/Paradisevillagegatedcommunity.jpg |
Aus Wikipedia, Gated Communities (engl.)
... Another criticism is that gated communities offer a false sense of security. Some studies indicate that safety in gated communities may be more illusion than reality, showing that gated communities in suburban areas of the United States have no less crime than similar nongated neighborhoods.[12]
A commentary in The New York Times specifically blames the gated communities for the shooting death of Trayvon Martin as the columnist states that "... gated communities churn a vicious cycle by attracting like-minded residents who seek shelter from outsiders and whose physical seclusion then worsens paranoid groupthink against outsiders."[13]
https://en.wikipedia.org/wiki/Gated_community
Zum Fall Trayvon Martin siehe auch
http://guttmensch.blogspot.de/2013/05/sudstaaten-blues.html